Der König stieg von seinem Thron

Diese Darstellung der Heiligen Drei Könige liebe ich. Sie befindet sich auf dem rechten Flügel eines Marienaltars aus dem 15. Jahrhundert, den man in der gotischen Backsteinkirche in Kirchdorf auf der Insel Poel bewundern kann. Hier, vor den Toren der alten Hansestadt Wismar, findet man viele backsteingotische Dorfkirchen und immer wieder schöne Altäre aus der Zeit der Hanse.

Vor allem der alte König gefällt mir. Der junge König am rechten Bildrand trägt zwar eine prächtige Krone auf dem mit einem Tuch geschmückten Kopf, und er hält sein Geschenk in Händen: ein Gefäß mit Weihrauch, aber seine Füße wissen noch nicht so recht, wohin er will.

Anders der mittlere König. Er ist im besten Mannesalter, trägt einen Vollbart und hat ein Horn mit Salböl als Geschenk dabei. Er weiß, wer er ist und was er will. Selbstbewusst, fast lehrerhaft, zeigt er nach oben, wo wir wohl den Stern vermuten dürfen, der sie alle drei hergeführt hat.

Der alte König kniet vor dem Kind. Er hat seine Krone abgenommen. Er bringt dem Kind sein Geschenk dar, das Gold seines Lebens. Und das Kind nimmt es mit beiden Händen an. Maria, auch sie trägt eine prächtige Krone, schaut bei allem aufmerksam zu und wird die Worte der Könige in ihrem Herzen bewahren.

Das Jesuskind auf dem Schoß seiner Mutter hat weder eine Krone, noch prächtige Kleidung. Es ist nackt und bloß. Und das ist der zweite Punkt, der uns beim Anschauen dieses Bildes berührt. Wie der alte König, der seine Krone abgenommen hat und vor dem Kind kniet, verfügt es über keinerlei Hoheitssymbole und Insignien der Macht. Es ist wehrlos und arm. Und doch ist es der neugeborene König. Gott wird Mensch. Auch er ist ein König, der von seinem Thron gestiegen ist.

Wer dieses Geheimnis ahnt, spürt, sucht nach Worten.
Der Jesuit Friedrich Spee (1591 – 1635), der sich mutig gegen die Hexenprozesse seiner Zeit aussprach, und der Mystiker Johannes Tersteegen (1697 – 1769), dem wir mehrere Kirchenlieder verdanken, haben Worte für dieses Geheimnis gefunden:

 

Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget;
Sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget.
Gott wird ein Kind,
träget und hebet die Sünd:
Alles anbetet und schweiget.

Gott ist im Fleische: Wer kann das Geheimnis verstehen?
Hier ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen.
Gehet hinein,
eins mit dem Kinde zu sein,
die ihr zum Vater wollt gehen.

GL 251, 3+4                 (Gerhard Tersteegen, 1697 – 1769)


Dich wahren Gott ich finde
in meinem Fleisch und Blut,
darum ich fest mich binde
an dich, mein höchstes Gut.
Eja, eja, an dich, mein höchstes Gut.

GL 239, 5                      (Friedrich Spee, 1591 – 1635)

 

Bernhard Bosold