Wachen und beten

I. Getsemani
 
Jesus betet in der Nacht, bevor er verhaftet wird. Er sieht, was kommen wird. Man wird ihn verurteilen, demütigen, foltern, kreuzigen. Er geht in den Garten Getsemani am Ölberg. Nur die nächsten Freunde nimmt er mit: Petrus, Jakobus, Johannes.
 
„Da ergriff ihn Traurigkeit und Angst und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir!“ Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf sein Gesicht und betete: Mein Vater, wenn es  möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Matthäus 26, 37-39)
 
 
II. Die Ängste und die Angst vor den Ängsten
 
Jesus betet im Garten Getsemani. Diese Worte habe ich oft gehört und oft selber vorgelesen. Dieses Jahr gehen sie mir besonders nah. Wie überwinde ich meine Angst?
 
Ein Gedicht der jüdischen Schriftstellerin und Lyrikerin Mascha Kaléko (1907 – 1975) hilft mir. Ich empfinde es als Gebet.
 
Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre 
wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten 
und der Anzug im Schrank.  
 
Sage nicht mein. 
Es ist dir alles geliehen. 
Lebe auf Zeit und sieh, 
wie wenig du brauchst. 
Richte dich ein. 
Und halte den Koffer bereit.  …
 
Zerreiss deine Pläne.
Sei klug  und halte dich an Wunder. 
Sie sind lang schon verzeichnet 
im grossen Plan. 
Jage die Ängste fort 
und die Angst vor den Ängsten.  
 
Dieses Gedicht hilft mir. „Sage nicht mein. / Es ist dir alles geliehen. / Lebe auf Zeit und sieh, / wie wenig du brauchst.“
 
Ja, ich weiß, dass mir alles nur geliehen ist.  Ich weiß, dass ich nicht unbegrenzt leben kann und leben werde.
 
„Zerreiss deine Pläne. Sei klug / und halte dich an Wunder. / Sie sind lang schon verzeichnet / im grossen Plan.“
 
Das gibt mir Vertrauen. Ich vertraue, dass es einen Sinn gibt, einen „grossen Plan“, größer als meine Pläne. Und Wunder, die uns helfen zu leben, trotz aller Angst.
 
Mein kleiner Atem ist geliehener Teil des großen Atems. Wenn wir das spüren, sind wir gerettet.
 
 
III. Jesus sagt Ja
 
„Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Wieder ging er weg, zum zweiten Mal, und betete: Mein Vater, wenn dieser Kelch nicht an mir vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille.“ (Matthäus 26, 40 – 42)
 
Jesus sagt Ja.
Er sagt es mit uns. Er sagt es für uns.
 
Wir sind es gewohnt, Gott als das Größte zu denken. Der, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. (Anselm von Canterbury). Wenn Jesus das Bild des unsichtbaren Gottes ist, dann müssen wir nach Getsemani lernen, Gott auch als das Kleinste zu sehen. Gott, wie er in Jesus sichtbar geworden ist, ist auch das Kleinste, über das hinaus nichts Kleineres gedacht werden kann. So umfasst Gott Leben und Tod. Wir können nicht tiefer fallen als in seine Hand.
 
 
Gebet
 
Auch wenn ich gehe im finsteren Tal,
ich fürchte kein Unheil,
denn du bist bei mir.
Psalm 23
 
Amen.


Bernhard Bosold