Worauf es ankommt

„Und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was dem andern dient.“ (Phil 2,4)

Meine Mutter ist jetzt 79 Jahre alt. Eigentlich ist sie immer unterwegs und hat viel zu tun. Weil sie gerne anderen Menschen hilft. Das war schon immer so. Deshalb schließt sie morgens die Kirche im Ort auf (weil es doch sonst keiner machen will). Deshalb geht sie Donnerstag morgens immer zur Laudes (weil doch sonst fast niemand kommt). Deshalb passt sie auf die Enkel auf (weil die Eltern doch so viel arbeiten). Und deshalb trifft sie sich mit den unterschiedlichsten Menschen zum Spazierengehen (weil die doch sonst niemanden haben). Meine Mutter ist ein Mensch, der wirklich gerne für Andere da ist und so Manches einfach ihnen zuliebe macht.

Früher hat mich das manchmal geärgert. Weil ich der Meinung war, dass man auch mal „nein“ sagen muss. Dass man auch mal nach sich selbst schauen muss. Dann hat sie immer nur gelächelt.

Vor ein paar Tagen habe ich lange mit ihr telefoniert. Sie hat mir erzählt, dass der Pfarrer sie angerufen und gefragt hat, ob sie jetzt, wo sich die Gemeinde nicht mehr treffen kann, mit ihm die Laudes beten will, stellvertretend für alle. Und von einer Frau, die ihr in der Kar- und Osterwoche dreimal ein Essen aus dem besten Restaurant unseres Ortes vorbeigebracht hat, einfach so. Von der ehemaligen Nachbarin und Bäckersfrau, die gerade bettlägrig ist und die sie angerufen hat. Um ihr für alles zu danken, was sie miteinander erlebt haben: für die vielen Spaziergänge, die netten Gespräche und die nachbarliche Gemeinschaft. Und von den Enkeln, die ihr zu Ostern ein großes Bild gemalt haben, auf dem stand: „Oma, wir vermissen dich!“

Als ich den Hörer auflegte, wusste ich, dass ich sie jetzt verstanden habe. Und ich habe gelächelt.

Ihre Ines Spitznagel