Beten

Beten Sie? Mit dieser Frage kann man Menschen irritieren, weil es etwas sehr Intimes ist und wir eigentlich im Alltag wenig darüber sprechen.
Das Magazin „Die Zeit“ hat jetzt mitten in der Coronakrise Menschen befragt „Hilft beten?“(Ausgabe vom 8. April 2020 Nr. 16):

Eigentlich bin ich mehr mit Gott im Gespräch, als dass ich bete. Das hilft mir in allen Lebenslagen, auch in den schweren, in denen ich oft an Gott gezweifelt habe.
Christa Schmid, 62, Fleischfachverkäuferin aus Ebnat

Neulich, als viele die Corona-Gefahr noch nicht sahen, sagte ich im Fernsehen: Ich bete für schlechtes Wetter. Als es dann regnete, hieß es: Sie haben ja einen guten Draht! Nein, Gott antwortet nicht auf Anweisung. Es gibt nur die gemeinsame Kraft, die im Gebet entsteht. Und manchmal erlebt man plötzlich ein Wunder.
Bodo Ramelow, 64, Thüringer Ministerpräsident

Ich bete, seitdem ich neun Jahre alt bin, weil es der Koran so vorgibt. Es gibt mir innere Ruhe. Ich bete, wenn ich aufstehe, wenn ich Bus fahre und wenn ich schlafen gehe.
Hale Kapar, 38, Busfahrerin aus Neutraubling

Ich bete, bevor ich eine Leichenschau mache. Das Fenster ist offen, damit die Seele abreisen kann. Dieser Moment erfüllt mich mit Demut, so einen engen Berührungspunkt mit dem Kreislauf des Lebens zu haben. Meist bete ich dann ein Vaterunser.
Dr. Johanna H., 29, ist Ärztin auf einer Intensivstation in Hamburg

2019 bin ich aus der Kirche ausgetreten, bete aber manchmal trotzdem aus Dankbarkeit oder weil es mir Hoffnung gibt. Denn ich sehe beruflich jeden Tag: Gesundheit ist nicht selbstverständlich und oft auch nicht beeinflussbar.
Christoph Hartl, 24, Krankenpfleger an der Charité Berlin

Ich bete seit ich klein bin. Meine Eltern haben mich damit vertraut gemacht. Wenn ich heute zu Gott spreche, wenn mich etwas belastet, in der Familie, bei Freunden, bitte ich um Rat und Hilfe. Oder ich danke für Schönes. Ich habe da großes Vertrauen. Beten hilft. Es gibt mir Kraft.
Michael Behrendt, 68, ist Aufsichtsrat der Reederei Hapag-Lloyd


Welche Antwort würden Sie dazu legen?
 

Beten ist unterschiedlich. Beten ist nicht immer gleich.
Manchmal quillt das Herz über vor Freude und Dankbarkeit, dann wenn wir spüren, dass sich etwas gefügt hat, wenn Größeres sich auftut, als ich selber bin und vermag.
Manchmal fehlen einem einfach die Worte. Woher nehme ich die Sprache, wenn ich vor Trauer und Leid keine Worte finde? Manchmal bleibt nur das Seufzen. Und manchmal bleibt Gott einfach unerreichbar.
Gelernte Worte und Gebete können eine Stütze sein. „Manchmal sind die Lippen glaubensstärker als das Herz“ formuliert so treffend der Theologe Fulbert Steffensky. „Es kann sein, dass das Herz den Worten und Lippen nicht nachkommt. Dann ziehen die Lippen das dürre Herz hinter sich her, bis es wieder kräftig ist und auf eigenen Beinen stehen kann“.

Beten ist nicht immer gleich- manchmal mit Worten, manchmal mit Seufzen, manchmal mit Schweigen, manchmal allein, manchmal mit anderen.

Ich freue mich, wenn es wieder möglich sein wird, gemeinsam, als Gottesdienstgemeinschaft zu beten.

Ulrike Neher-Dietz