Thomas der Zweifler

Der zweifelnde Thomas, dessen Fest wir heute feiern,  war mir immer sehr sympathisch. Er glaubt nicht alles was man ihm erzählt. Er lässt sich kein X für ein U vormachen. Er schaut ganz genau hin.

Nur im Johannesevangelium wird vom skeptischen Thomas berichtet. Bei der ersten Erscheinung des auferstandenen Herrn war Thomas nicht dabei. Aber die anderen Jünger berichten, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern lebt. Skeptisch wendet Thomas ein: „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“ (Joh 20,25).

Basta. Thomas verlangt Habhaftes.

„Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt  und Thomas war dabei. Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh 20,24-29)

Wir sind alle überzeugt, dass Thomas der Aufforderung Jesu gefolgt ist und seine Hand in Jesu Seitenwunde gelegt hat. Aber davon ist im Text nicht die Rede. Mit den frühesten Auslegern dieser Stelle vermuten wir die konkrete Berührung, wir spinnen den neutestamentlichen Text einfach weiter.

Der Maler Caravaggio tut das in seinem berühmten Bild „Der ungläubige Thomas“, das er um 1601 gemalt hat, auch. Thomas, dunkel, die Stirn in tiefe Falten gelegt, reißt die Augen weit auf, beugt sich vor und dringt mit seinem rechten Zeigefinger tief in die Seitenwunde ein. Ein grober, fast gewalttätiger Akt.

Und Jesus? Jesus hat das helle Gewand zur Seite gezogen und so seine Seitenwunde freigemacht. Und noch mehr: Er greift mit der linken Hand die Rechte von Thomas und führt sie an, ja in seine Wunde. Der Gesichtsausdruck Jesu ist nicht indigniert oder gar abweisend, sondern nachsichtig, voller Geduld und Verständnis. Zwei Zeugen (andere Jünger) beobachten gebannt die Szene. Thomas erkennt, dass das der leibhaftige Herr ist, mit dem er gewandert ist, dessen Worten er gelauscht hat, dessen heilende Gegenwart er immer wieder erlebt hat. So kann er nur noch stammeln: „Mein Herr und mein Gott.“ Fast traut man auf diesem Bild dem geduldigen und verständnisvollen Jesus nicht die tadelnden Worte zu „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“
Thomas hatte in seinem weiteren Leben immer diese handgreifliche Möglichkeit der Berührung und Bestätigung seines Glaubens. Der Glaube an den Auferstandenen war ihm nicht ein für alle Male plausibel.
Wir wie alle Leserinnen und Leser der Johannesperikope sind vor die Herausforderung gestellt, nicht zu sehen (und zu fühlen, könnten wir ergänzen) und doch zu glauben.

Die diesjährige Jahreslosung der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen wurde vor dem Coronaausbruch in diesem Jahr ausgewählt und ist doch so „passgenau“ für dieses Jahr.

Der Vater des epileptischen Jungen, der Jesus um Heilung seines Sohnes bittet, drückt das so aus: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24).

Iris Bosold