Die Kraft des Erzählens

Ich mag gute Geschichten und ich erzähle auch gerne. Am Anfang meiner Dienstzeit hatte ich so eine gute Geschichte gefunden, die ich erzählenswert hielt. Es ist die Erzählung von der geteilten Orange in einem Waisenhaus, die Charles Dickens zugeschrieben wird. Der Höhepunkt der Geschichte ist, dass die Kinder ein Stück ihrer geschenkten Orange an ein Kind abgegeben, dass ungerechter Weise leer ausgegangen ist. Den brillanten Kern der Erzählung behielt ich bei und fügte diesen Kern in eine neue Rahmenhandlung ein. So wollte ich die Geschichte in der Adventzeitzeit in einem Schulgottesdienst vorlesen um bloß nichts Falsches zu machen.

Der Geräuschpegel im Gottesdienst in der übervollen Kirche war extrem laut. Niemand schien auch nur einen Augenblick zuzuhören. Als ich endlich an der Reihe mit meinem Beitrag war merkte ich voller Entsetzten, dass ich das Blatt mit der Erzählung vergessen hatte. Und so musste ich das machen, wo vor ich mich hatte unbedingt drücken wollen: die Geschichte frei erzählen. Von einem auf den anderen Augenblick wurde es ganz leise in der Kirche. Die Kinder hörten mir tatsächlich zu. Das berührte mich sehr und bis heute habe ich dieses Ereignis nicht vergessen. Seit diesem Tag ist mir so richtig bewusst, welche Kraft Erzählungen inne wohnen kann.

Für die kommende Zeit wünsche ich Ihnen den Mut selber Geschichten zu erzählen, die Sie und andere berühren und bewegen können. Eine gute Erzählung bleibt nicht ohne Wirkung.

Raphael Schäfer

Neugierige finden die Erzählung von damals ->hier