Ein Abglanz Gottes

Bei klarer Witterung schaue ich gerne den Nachthimmel an. So unendlich viele Lichtpunkte! Solcher Glanz! Und solche Entfernungen!
Schon als Kind war ich eine leidenschaftliche „Sternenguckerin“.
Ohne jede Kenntnis der einzelnen Sterne oder Sternbilder suchte ich mir jeweils die schönsten und hellsten aus und gab ihnen den Namen von Menschen, die schon verstorben waren und die ich schmerzlich vermisste. Ich hatte das Gefühl, dass sie da oben geborgen und behütet waren und auf mich aufpassten.

Eine besondere Beziehung zu den Sternen hatte auch der Physiker, Philosoph und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007):

„Zu meinem 12. Geburtstag, im Juni 1924, wünschte ich mir eine drehbare, also auf Tag und Stunde einstellbare Sternkarte. Bald danach gingen wir von Basel, wo mein Vater deutscher Konsul war, für die Sommerferien in die einsame Pension Mont Crosin im Berner Jura.
Am Abend des 1. August wurde dort der Schweizer Nationalfeiertag wie üblich mit Höhenfeuern und Raketen begangen. Ein Tanzvergnügen der Pensionsgäste begann mit einer langen Polonäse im Freien. Bei einer der Trennungen der Schlange gelang es mir, meine etwa gleichaltrige Dame zu verlieren.
Da entwich ich von den Menschen in die warme, wunderbare Sternennacht, ganz allein.

Das Erlebnis einer solchen Nacht kann man in Worten nicht wiedergeben, wohl aber den Gedanken, der mir aufstieg, als das Erlebnis abklang.
In der unaussprechbaren Herrlichkeit des Sternhimmels war irgendwie Gott gegenwärtig.
Zugleich aber wusste ich, dass die Sterne Gaskugeln sind, aus Atomen bestehend, die den Gesetzen der Physik genügen.
Die Spannung zwischen diesen beiden Wahrheiten kann nicht unauflöslich sein.
Wie aber kann man sie lösen?
Wäre es möglich, auch in den Gesetzen der Physik einen Abglanz Gottes zu finden?“

Carl Friedrich von Weizsäcker (1912 – 2007),  Philosophie in Selbstdarstellungen II, 1975
Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr. 99 / 30. April / 01. Mai 2007, Seite 11

Immanuel Kant (1727 – 1804) hat die staunende Ehrfurcht so ins Wort gebracht:
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“ (Kritik der praktischen Vernunft)

Ich wünsche Ihnen inspirierende Himmelsblicke.

Iris Bosold