„Das lassen wir dann einfach mal so nebeneinander stehen!“

Schwestern und Brüder,
bei diesem Satz könnte ich zugegebenermaßen regelmäßig aus der Haut fahren! Da wird stundenlang diskutiert und dann lautet das Fazit: Wir haben jetzt unterschiedliche Meinungen gehört, das lassen wir jetzt einfach mal so nebeneinander stehen!
Letztlich bedeutet das doch nichts Anderes, als sich vor Entscheidungen zu drücken, die Dinge einfach laufen zu lassen und keine klare Position zu beziehen.
Da ist es mir schon lieber, wenn klare Verhältnisse geschaffen werden, wenn ich am Ende weiß, was richtig und was falsch ist und wenn ich dann auch dementsprechend handeln kann.
Deshalb kann ich die Knechte, von denen wir gerade gehört haben, auch gut verstehen: Da wächst Unkraut und sie wollen es sofort ausreißen. Das Schlechte direkt im Keim ersticken. Richtig so, würde ich sagen.
Der Gutsherr ist anderer Meinung: „Nicht ausreißen! Lasst alles wachsen bis zur Ernte! Lasst es nebeneinander stehen.“ Er ist ein Mann der Besonnenheit, Toleranz und Geduld. Er wird sich selbstverständlich über das Unkraut geärgert haben. Aber seine Besonnenheit ist größer als sein Ärger. Er weiß, dass man beim Ausreißen des Unkrauts auch den guten Weizen mit ausreißen kann!
Schwestern und Brüder, wenn Jesus so in Gleichnissen spricht, dann versucht er, den Gott unseres Glaubens zu beschreiben. Ihm mit Bildern und Worten nahe zu kommen. Mit diesem Gutsherrn zeigt er uns Gott so, wie er schon vom Volk Israel erfahren worden ist. So, wie wir es auch im Buch der Weisheit in der Lesung gehört haben: Gott ist einer, der Sorge trägt! Seine Herrschaft über alles lässt ihn Nachsicht üben. Er richtet in Milde. Er ist menschenfreundlich. Er ermöglicht den Sündern Umkehr!
Gott ist daran gelegen, dass jeder von uns – um im Bild zu bleiben - zur Blüte und Reife kommt. Doch Leben, auch unser Leben, wächst nun einmal in der Vielfalt, in Weizen und in Unkraut! 
Wir Menschen können lieben, achten, anderen beistehen und nach dem Guten streben. Und doch gibt es bei jedem von uns auch die andere Seite: dass wir stolz und eigensinnig sind, wütend und verletzend, grausam und ungerecht. Jeder von uns muss an sich arbeiten und lernen, mit den Stärken und Schwächen umzugehen. Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dann ist doch auch unser Leben nicht immer ein schön hergerichtetes, keimfreies Beet. Sondern es ist eine bunte Abwechslung, ein Acker mit Weizen und Unkraut.
Jesus sagt: „Lass beides wachsen“ Damit meint er sicher nicht, dass wir das Schlechte in uns pflegen sollen, damit es zur vollen Blüte kommt. Vielmehr hält er bis zum Schluss daran fest, dass es doch noch guter Weizen sein könnte! Bis zuletzt hält er an uns Menschen fest, glaubt er an das Gute in jedem von uns! Und das ist das Befreiende an diesem Evangelium: Jesus zeigt uns keinen Gott, der pauschal verurteilt oder uns radikal verwirft...der uns verteufelt, wenn wir etwas falsch gemacht haben. Unser Gott ist ein menschenfreundlicher Gott, der um unsere Fehler und Schwächen weiß....und der uns jeden Tag die Chance zur Umkehr offen hält!
Dieser Gott ist es, der am Ende richten wird. Der entscheidet, was gut und was böse ist. Er und kein anderer! Uns Menschen steht das nicht zu!
So rückt Jesus mit seinem Gleichnis auch die Zuständigkeiten zurecht. Und damit bezieht er sehr klar Stellung! Er will deutlich machen: Es gibt Dinge, in die haben wir Menschen keinen Einblick. Dinge, die unseren Zuständigkeiten entzogen bleiben, bei denen wir gar nicht urteilen können. Weil uns der göttliche Überblick und die entsprechenden Kriterien einfach fehlen. In manchen Dingen steht es nur Gott zu, zu beurteilen, was Weizen und was Unkraut ist.
Jesus sagt: Kümmert euch um das, wofür ihr zuständig seid. Regelt die Dinge in den Bereichen, für die ihr Verantwortung habt! Und drückt euch auch nicht vor Entscheidungen, die Ihr fällen müsst und die niemand anders für euch treffen kann.
Aber hütet euch vor dem, was ihr nicht beurteilen könnt! Reißt nichts heraus, wo nur Gott entscheiden kann, ob man mit dem Buchstaben des Gesetzes oder nach der Barmherzigkeit zu urteilen hat. Überlasst das letzte Urteil Gott!
Wie anders könnte unser Miteinander doch manchmal aussehen, wenn wir uns selbst nicht zu Herren des Lebens, zu Richtern über richtig und falsch machen würden! Wie viel Leid und Verletzungen könnten verhindert werden, wenn wir nicht immer direkt das Urteil über den Anderen sprechen würden.
Wenn auch wir als Christen und als Kirche Andersdenke und – lebende nicht pauschal ausschließen würde, sondern wirklich hinhören würde: Auf die Lebensgeschichte, die ein Mensch hat. Auf das Päckchen, das er trägt. Auf die Gründe, die ihn zu dieser oder jener Entscheidung bewogen haben, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht kirchlicher Konvention entsprechen.
Wenn ich aus den vielen Lebensgeschichten, die ich durch meinem Beruf von Menschen hören darf, eines gelernt habe, dann ist es das: Es ist nicht immer klar, was schwarz und weiß ist, was Weizen und Unkraut...Dazwischen liegt so vieles, so viel Menschliches, dass es mein Urteil schlicht und ergreifend übersteigt.
Und deshalb kann ich es getrost in Gottes Hand legen. Deshalb kann ich einstimmen in die Worte aus dem Buch der Weisheit: „Weil du Gott, über Stärke verfügst, richtest du in Milde und behandelst uns mit großer Nachsicht; denn die Macht steht dir zur Verfügung, wann immer du willst!“
Gott wird am Ende das Urteil sprechen. Er wird richten, ja aufrichten, was keine Frucht gebracht hat. Und am Ende wird er nicht alles nebeneinander stehen lassen. Aber er tut es, nicht wir Menschen. Gott sei Dank! Amen.

Ihre Ines Spitznagel