Sind wir Gott egal?

Gedanken über Leben und Tod zum 5. Fastensonntag

Im 11. Kapitel des Johannesevangeliums heißt es:

„Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. Viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten. Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben. Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag. Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? Marta antwortete ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“

„Du bist ja nie für mich da!“ Diesen bitteren Vorwurf knallt Marta erst mal ihrem guten Freund Jesus hin statt einer herzlichen Begrüßung. Wörtlich, aber nicht anders gemeint, sagt sie: „Wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.“ Es gehört zu den größten Enttäuschungen, die Liebsten, die Freunde nicht bei sich zu haben, nicht zu erreichen, in den wichtigsten Momenten. Man fühlt sich unbeachtet, wertlos, dem andern egal: Wo warst du? Du bist doch nie für mich da, wenn ich dich wirklich brauche!

So einen Vorwurf richten viele an Gott. Ich kann das gut nachvollziehen und finde keinen Fehler darin, dieses Gefühl der Gottverlassenheit und des Zweifels an göttlicher Macht zu äußern. Spätestens an einem Grab drängt sich auch jedem Gläubigen der Vorwurf auf: Wenn du, Jesus, wirklich da wärst, dann würdest du doch keinen von unseren Liebsten sterben lassen. Was ist das für ein Gott, der so viel Leid zulässt? Was ist das für ein Gott, der uns Leben schenkt, um uns früher oder später wieder wegzureißen aus dem Leben? Warum? Warum geschieht so etwas? Warum Leid? Warum Sorgen? Warum Krankheit? Warum Tod? Warum jetzt? Warum so? So heißen brennende Fragen, die nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wer sich nichts vormacht, spürt freilich: Gerade Leid und Tod sind und bleiben unbegreiflich und immer auf eine gewisse Weise sinn-los: Doch wir möchten den Schmerz halt zu gern erklären und eine Erklärung haben für unsere Angst und Ohnmacht. Und wir fragen deshalb: Warum?

Wie anders ist das in Momenten der Freude. Da fragt ja kaum einer: Warum? Warum habe ich mich verliebt? Warum haben wir ein gesundes Kind bekommen? Warum feiern wir so schön zusammen? Freude kennt kein Warum. „Kein Warum“ - Das ist übrigens eine wunderbare Beschreibung für Gott, Liebe, Himmel: Meister Eckart, einer der ganz großen geistlichen Meister des Christentums, er hat vor vielen hundert Jahren diese zeitlosen Worte gebraucht für das unbeschreibliche Glück: „Kein Warum!“

Doch wir, wir können unsere Fragen nicht einfach wegwischen, auch wenn es in dieser Welt keine Antwort gibt und wir manchmal ratlos bleiben wie in einem schwarzen Loch, wenn wir an die Endlichkeit denken. Ob da wirklich einer ist, der wie Rilke sagt, „all das Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“?

Unser Lichtblick, dass da mehr ist als wir sehen und verstehen, ist keine absolute Sicherheit. Die gibt es nicht. Aber es gibt das Vertrauen, das in der Geschichte der Menschheit sich immer wieder als begründet erwiesen hat. Gott vertrauen, heißt: nicht mehr immerzu zurückschauen und endlos „Warum?“ fragen, nach Ursachen und Erklärungen suchen.  Mit Gott, können wir vielmehr trotz allem nach vorn schauen und eine ganz andere Frage stellen, nämlich: Wozu? Wozu ist alles gut? Vom Ziel her gesehen, ahnen wir, dass alles in einem neuen Licht erscheinen kann. Wir ahnen, glauben, dass Ostern nicht Geschichte oder Folklore ist, sondern deine und meine wichtigste Lebenserfahrung, eine Erfahrung vom Knospen unter den Blättern, von Leben auch hinter dem Tod, vom Dasein Gottes auch gegen den Augenschein!

Der Evangelist Johannes schreibt in diesem Kapitel seines Evangeliums ganze acht Mal das Wort „Herr“. Dieses Wort ist ein kurzes Glaubensbekenntnis. Es meint: Gott ist der Bestimmer! Und es sagt uns: Wir sind nicht verloren. Was für ein Trost. Der einzige echte Trost. Denn jeder muss mal „dran glauben“! Und dann ist Jesus da!

Passende Lieder: Gotteslob 291, 456

Der 5. Fastensonntag (Passionssonntag) ist auch der Misereor-Sonntag. Dieses Jahr stehen die Menschen in Syrien und im Libanon im Mittelpunkt des Fastenopfers. Schenken Sie Hoffnung mit einer Spende!

„Misereor – IBAN DE07370205005564624517; BIC: BFSWDE33XXX“