Raushören

Predigt zum 4. Ostersonntag (Johannesevangelium 10,1-10)

Anders als die Augen kann man die Ohren nicht bewusst ganz abwenden oder gar schließen. Kein Wunder, dass wir aber nicht alles hören wollen, was wir dann zu Hören kriegen. Doch wenn wir das  Gehörte aussortieren, verstehen das andere oft nicht und fühlen sich nicht erstgenommen. Andersherum brauchen wir unbedingt in einer Menge von Stimmen den so genannten „Party-Effekt“, der es ermöglicht, in einem Stimmengewirr eine einzige Stimme zu verstehen und andere auszublenden.

Beim Hören scheint es schließlich auch nicht nur um sachliche Informationen zu gehen, sondern die Stimmen transportieren ganz tiefe Botschaften von Sympathie, Zusammengehörigkeit, Geborgenheit oder das Gegenteil davon. Man kann sich etwa auch in eine Stimme verlieben, ohne den Menschen dazu gesehen zu haben. Und es heißt, man hört schon im Mutterleib sehr gut, ob da irgendwo beruhigende oder eher genervte Stimmen klingen. Töne, Musik, Geräusche, Worte, sie wirken von Anfang an emotional, erzeugen schöne oder schreckliche Gefühle.

Achten Sie z.B. einmal auf Werbung in Radio, Fernsehen, Internet. In kürzester Zeit wirst du da von zig sympathischen Stimmen eingelullt. Und überhaupt versuchen alle, dich für Ihre Zwecke zu gewinnen: Fridays for Future-Aktivisten, die Kanzlerin, der Zahnpastaproduzent, der Bischof, die Autoverkäuferin oder jetzt gerade die widersprüchlichen Botschaften der Virologen, Behörden und reißerischen Nachrichtenkanäle, die einen manchmal schlauer, aber oft auch ziemlich verwirrt zurücklassen. Worauf also hören? Wen raushören?

Diese Frage ist der Preis der Freiheit. Wenn wir nicht blind einer Autorität folgen, müssen wir uns Mal für Mal bei allem selber aufklären, wer Vertrauen verdient. Und weil das nicht für alles geht, brauchen wir Erfahrungswerte: Wie Babies sich von den Stimmen der Eltern beruhigt in den Schlaf singen lassen, sind auch wir Erwachsene vertraut mit manchen Stimmen. Wir sind Stammkunden, Stammwähler, Fans, Partner, weil wir spüren: Hier werde ich nicht enttäuscht. Das war bisher immer meins. Das wird wohl weiter gut sein.

Solches Vertrauen spricht heute aus dem Bild Jesu vom Hirten und den Schafen. Er sagt: Meine Schafe hören auf meine Stimme. Es braucht nur die bekannte Stimme des eigenen Hirten, und alle wissen, wo´s lang geht. Sie spüren: der vertraute Hirte, der wird uns nichts vormachen. Ganz eigene Wege zu gehen ist möglich, aber gefährlich. Denn der Hirte kennt den Weg und die guten Weiden, das Leben in Fülle. Der Hirte behütet vor Dieben und wilden Tieren, diese Gemeinschaft lässt keinen verloren gehen. Der Hirte sorgt sich um jede und jeden, kennt alle mit Namen.

Dieses Kennen, dieses Vertrauen, das Raushören Gottes und das Gehörtwerden durch Gott, das eine tiefe Beziehung kennzeichnet, das hat der Frankfurter Pfarrer Lothar Zenetti vor 50 Jahren in ein schönes Lied geschrieben, in dem es heißt:


Worauf sollen wir hören, sag uns worauf?
So viele Geräusche, welches ist wichtig?
So viele Beweise, welcher ist richtig?
So viele Reden! Ein Wort ist wahr.
Wohin sollen wir gehen, sag uns wohin?
So viele Termine, welcher ist wichtig?
So viele Parolen, welche ist richtig?
So viele Straßen! Ein Weg ist wahr.
Wofür sollen wir leben, sag uns wofür?
So viele Gedanken, welcher ist wichtig?
So viele Programme, welches ist richtig?
So viele Fragen! Die Liebe zählt.


Pfarrer Matthias Dangel